Aufenthaltsbestimmungsrecht
aktualisiert am 31.01.24 von Julia Matthäi, Prof. Dr. Eva Schuman Familienrecht, Georg-August-Universität Göttingen
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Hier finden Sie Antworten auf die folgenden Fragen:
- Wem steht das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu und welche Entscheidungen sind davon umfasst?
- Wer entscheidet, bei welchem Elternteil das Kind nach der Trennung lebt?
- Was passiert, wenn sich die Eltern nicht über den Aufenthalt des Kindes einigen können?
- Darf ein Elternteil mit dem Kind in eine andere Stadt umziehen?
- Was ist bei Urlaubsreisen mit dem Kind zu beachten?
Wem steht das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu und welche Entscheidungen sind davon umfasst?
Aufenthaltsbestimmungsrecht abhängig von Sorgeberechtigung
Das Aufenthaltsbestimmungsrecht steht bei gemeinsamer elterlicher Sorge beiden Eltern gemeinsam zu. Ist ein Elternteil allein sorgeberechtigt, dann steht diesem Elternteil auch das Aufenthaltsbestimmungsrecht allein zu. Denkbar ist auch, dass die getrenntlebenden Eltern zwar weiterhin gemeinsam sorgeberechtigt sind, aber das Aufenthaltsbestimmungsrecht vom Gericht einem Elternteil übertragen wurde.
Kindeswille entscheidend
Wie in allen Bereichen der elterlichen Sorge müssen die Eltern auch bei Entscheidungen über den Aufenthalt des Kindes dem zunehmenden Bedürfnis des Kindes zu selbstständigem verantwortungsbewusstem Handeln Rechnung tragen. Der Kindeswille ist daher altersgemäß zu berücksichtigen. Insbesondere bei älteren Kindern sollte der Kindeswille bei der Frage, bei welchem Elternteil das Kind leben möchte, ausschlaggebend sein.Bestandteile des Aufenthaltsbestimmungsrechts
Das Recht, über den Aufenthalt des Kindes zu bestimmen, umfasst insbesondere die Entscheidung über...
- den Wohnort des Kindes
- einen Umzug
- Urlaubsreisen
- Kur- und Krankenhausaufenthalte
- Ausgehzeiten
Zum Aufenthaltsbestimmungsrecht gehört auch, dass dem Kind verboten werden kann, bestimmte Ort aufzusuchen, oder dass Zeiten festgelegt werden, an denen das Kind zu Hause sein muss.
Wer entscheidet, bei welchem Elternteil das Kind nach der Trennung lebt?
Die Antwort auf diese Frage ist davon abhängig, wem das Aufenthaltsbestimmungsrecht zusteht.
Alleiniges Aufenthaltsbestimmungsrecht
Steht einem Elternteil die elterliche Sorge oder zumindest das Aufenthaltsbestimmungsrecht allein zu, kann dieser Elternteil auch allein entscheiden, wo das Kind lebt.
Gemeinsames Aufenthaltsbestimmungsrecht
Steht beiden Eltern die elterliche Sorge oder zumindest das Aufenthaltsbestimmungsrecht gemeinsam zu, dann müssen die Eltern nach einer Trennung einvernehmlich entscheiden, wo das Kind seinen Lebensmittelpunkt haben soll. In Betracht kommt einerseits, dass das Kind überwiegend bei einem Elternteil lebt und mit dem anderen regelmäßig Umgang hat (sog. Residenzmodell). Andererseits können die Eltern das Kind auch abwechselnd betreuen (sog. geteilte Betreuung bzw. Wechselmodell).
Entscheidung für ein Betreuungsmodell
Bei der Entscheidung für ein Betreuungsmodell sind zahlreiche Faktoren zu beachten. Besprechen Sie gemeinsam, welches Betreuungsmodell nach einer Trennung zu Ihrer Lebenssituation am besten passt und dem Kindeswohl am besten dient. An diesem Klärungsprozess sollten Sie auch Ihr Kind altersgerecht beteiligen und seine Wünsche und Bedürfnisse berücksichtigen. Ausführliche Informationen unter anderem zu den rechtlichen Auswirkungen der verschiedenen Betreuungsmodelle finden Sie hier:
Ergeben sich im Laufe des Getrenntlebens Veränderungen in Ihrer Lebenssituation oder bei den Bedürfnissen und Wünschen Ihres Kindes, dann kann es notwendig sein, dass Sie erneut gemeinsam entscheiden müssen, wo das Kind seinen Lebensmittelpunkt haben soll.
Was passiert, wenn sich die Eltern nicht über den Aufenthalt des Kindes einigen können?
Unterstützung durch Beratungsstellen
Können sich die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern über den Lebensmittelpunkt des Kindes oder über eine einzelne Angelegenheit des Aufenthaltes (z. B. Urlaubsreise des Kindes in das außereuropäische Heimatland eines Elternteils) nicht einigen, dann können Sie zur Lösung des Konflikts kostenlose Beratungs- und Unterstützungsangebote des Jugendamts oder von Erziehungs- und Familienberatungsstellen in Anspruch nehmen.
Einschaltung des Familiengerichts
Scheitert eine einvernehmliche Lösung, dann kann auf Antrag eines Elternteils eine Entscheidung des Familiengerichts herbeigeführt werden. Auch das Gericht wird zunächst versuchen, Einvernehmen zwischen den Eltern herzustellen. Sofern dies nicht gelingt, wird das Gericht den Elternkonflikt schlichten, wobei zwei Fallkonstellationen zu unterscheiden sind.
Sind sich die Eltern uneinig, können sie Hilfe in Form von Beratung in Anspruch nehmen
Übertragung eines Teilbereichs der elterlichen Sorge
Das Aufenthaltsbestimmungsrecht kann bei gemeinsamen Sorgerecht als Teilbereich der elterlichen Sorge unter engen Voraussetzungen auf einen Elternteil übertragen werden. Dies kann z. B. der Fall sein, wenn zwischen den Eltern ein nicht lösbarer Konflikt über den Lebensmittelpunkt des Kindes besteht. Mehr zur Übertragung eines Teilbereichs der elterlichen Sorge erfahren Sie hier:
Übertragung der Alleinentscheidung in einer einzelnen Angelegenheit des Aufenthalts
Geht es um einzelne Angelegenheiten des Aufenthaltes (z. B. eine Urlaubsreise des Kindes in das Heimatland eines Elternteils), dann kann das Gericht bei gemeinsamem Sorgerecht einem Elternteil die alleinige Entscheidung über diese Angelegenheit übertragen. Ausschlaggebend für die Entscheidung des Gerichts ist dabei das Kindeswohl. Mehr zur Übertragung der Entscheidungsbefugnis in einer einzelnen Angelegenheit erfahren Sie hier:
Möglichkeiten des Umgangselternteils bei fehlendem Aufenthaltsbestimmungsrechts
Steht das Aufenthaltsbestimmungsrecht dem hauptbetreuenden Elternteil allein zu, dann sind die Entscheidungsbefugnisse des Umgangselternteils eingeschränkt. Diese beschränken sich auf den Aufenthalt des Kindes während der Umgangszeiten (z. B. Kontakt zu Dritten). Sobald es sich um bedeutende Fragen des Aufenthalts handelt (z. B. Fernreisen), dann entscheidet der hauptbetreuende Elternteil allein. Ist der Umgangselternteil mit den Entscheidungen des anderen Elternteils nicht einverstanden, kann er sich an das Familiengericht wenden und einen Antrag auf Übertragung des Sorgerechts oder des Aufenthaltsbestimmungsrechts als Teil der elterlichen Sorge stellen.
Eine Übersicht mit den verschiedenen Fallkonstellationen und den jeweiligen Entscheidungsbefugnissen der Eltern sowie den Entscheidungsmöglichkeiten des Familiengerichts finden Sie hier:
Darf ein Elternteil mit dem Kind in eine andere Stadt umziehen?
Auch für einen Umzug und den damit verbundenen Wohnortwechsel des Kindes kommt es darauf an, wem das Aufenthaltsbestimmungsrecht zusteht.
Alleiniges Aufenthaltsbestimmungsrecht
Steht einem Elternteil das Aufenthaltsbestimmungsrecht allein zu, dann kann dieser Elternteil auch allein über den Wohnort des Kindes und damit auch über einen Umzug entscheiden. Dabei ist aber, wie bei jeder das Kind betreffenden Entscheidung, das Kindeswohl zu berücksichtigen. Zum Kindeswohl gehört auch die Gewährleistung des Umgangs mit dem anderen Elternteil.
Gemeinsames Aufenthaltsbestimmungsrecht
Bei einem gemeinsamen Aufenthaltsbestimmungsrecht können die Eltern nur gemeinsam entscheiden, wo das Kind wohnen soll. Möchte z. B. der bislang hauptbetreuende Elternteil zusammen mit dem Kind in eine andere Stadt umziehen, braucht er dafür die Zustimmung des anderen Elternteils. Scheitert eine einvernehmliche Lösung der Eltern, dann kann eine Entscheidung des Familiengerichts herbeigeführt werden.
Einen Umzug mit dem Kind sollte man mit dem anderen Elternteil absprechen
Was passiert, wenn der Wohnortwechsel nicht dem Kindeswohl entspricht?
Entspricht die Entscheidung des hauptbetreuenden Elternteils, mit dem Kind umzuziehen, nicht dem Kindeswohl und Kindeswillen, dann kann der Umgangselternteil beim Familiengericht die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts beantragen. Das Familiengericht prüft in diesem Fall, ob der Verbleib des Kindes bei dem Elternteil, der mit dem Kind umziehen möchte, oder ob ein Wechsel des Kindes zum anderen Elternteil dem Kindeswohl am besten entspricht. Eine Übersicht zu Beispielen aus der Rechtsprechung finden Sie hier:
Neuregelung des Umgangs nach Umzug
Zu beachten ist, dass nach einem Umzug eine Neuregelung des Umgangs erforderlich sein kann. Insbesondere bei einer größeren Entfernung zwischen Kind und umgangsberechtigtem Elternteil sollte eine praktikable Regelung getroffen werden, mit der die Umgangskontakte zwischen dem Kind und dem anderen Elternteil angemessen verwirklicht werden können (z. B. weniger, dafür aber längere Aufenthalte beim anderen Elternteil).
Was ist bei Urlaubsreisen mit dem Kind zu beachten?
Auch bei Urlaubsreisen mit dem Kind kommt es darauf an, welchem Elternteil das Aufenthaltsbestimmungsrecht zusteht.
Alleiniges Aufenthaltsbestimmungsrecht
Steht einem Elternteil das Aufenthaltsbestimmungsrecht allein zu, dann kann dieser Elternteil alle Urlaubsreisen ohne Zustimmung des anderen Elternteils unternehmen.
Urlaube mit dem Kind sind grundsätzlich für beide Eltern möglich
Gemeinsames Aufenthaltsbestimmungsrecht
Bei einem gemeinsamen Aufenthaltsbestimmungsrecht kann grundsätzlich jeder Elternteil ohne die Zustimmung des anderen Elternteils mit dem Kind in den Urlaub fahren. Das gilt insbesondere für Reisen innerhalb Deutschlands und ins europäische Ausland. Fernreisen ins außereuropäische Ausland sind grundsätzlich auch ohne Zustimmung möglich, wenn die Reise dem Kind alters- und gesundheitsbedingt zugemutet werden kann. Dies ist immer im Einzelfall zu betrachten. Die Zustimmung des anderen Elternteils ist hingegen insbesondere bei Reisen in Risikogebiete, für die das Auswärtige Amt eine Reisewarnung herausgegeben hat, oder für Reisen in abgelegene Gebiete sowie Abenteuerurlaube notwendig.
Urlaubsreisen mit dem Umgangselternteil
Auch der Elternteil dem kein Aufenthaltsbestimmungsrecht zusteht, darf während seiner Umgangszeiten ohne Zustimmung des anderen Elternteils mit dem Kind in den Urlaub fahren. Dafür muss es sich bei dem Urlaubsort und der An- und Abreise um eine Angelegenheit der tatsächlichen Betreuung handeln. Eine Urlaubsreise ist in der Regel dann eine Angelegenheit der tatsächlichen Betreuung, wenn sie innerhalb Deutschlands und unter der Nutzung der üblichen Verkehrsmittel erfolgt. Bei Reisen außerhalb Deutschlands können das Alter des Kindes oder der Ort bzw. die Art des Urlaubs (abgelegenes Gebiet, Abenteuerurlaub) die Zustimmung des anderen Elternteils erforderlich machen. Reisen in ein Risikogebiet oder außerhalb Europas sind stets nur mit Zustimmung des anderen Elternteils erlaubt.
Kindeswohlgefährdung durch Auslandsreise
Droht im Zusammenhang mit der Auslandsreise eine Kindesentführung oder ein schwerwiegender Eingriff in Grundrechte des Kindes (z. B. Beschneidung, Zwangsheirat), dann kann sich der andere Elternteil aufgrund der drohenden Kindeswohlgefährdung an das Familiengericht wenden. Bei Vorliegen einer Kindeswohlgefährdung kann das Aufenthaltsbestimmungsrecht dem Elternteil, der das Kindeswohl gefährdet, entzogen und auf den anderen Elternteil übertragen werden.
Quellen
Mehr zum Thema
Hier finden Sie Informationen zu Quellen der Inhalte dieser Seite.
Quellen
Als Quellen wurden unter anderem verwendet:
Gerhardt, P., Heintschel-Heinegg, B. v., Klein, M. (2021). Handbuch Familienrecht. Wolters Kluwer.
Rahm, W., Künkel, B., Kemper, R. (2021). Handbuch Familien- und Familienverfahrensrecht. ottoschmidt.
Schnitzler, K. (2020). Münchener Anwaltshandbuch Familienrecht. C.H.Beck.
Wichtige Gerichtsentscheidungen:
BVerfG 27.6.2008 – 1 BvR 311/08 (Berücksichtigung des Kindeswillens bei Entscheidung über Aufenthaltsbestimmungsrecht)
BGH 28.4.2010 – XII ZB 81/09 (Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf einen Elternteil)
OLG Frankfurt 12.5.2020 – 4 UF 45/20 (Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf einen Elternteil)
Elterliche Sorge
Aufenthaltsbestimmungsrecht als Teil der elterlichen Sorge
Das Aufenthaltsbestimmungsrecht ist ein Teil der elterlichen Sorge. Deshalb hat die Berechtigung zur elterlichen Sorge eine große Auswirkung auf das Aufenthaltsbestimmungsrecht. Wissenswertes dazu erfahren Sie auf der folgenden Unterseite.
Sorge- und Umgangsverfahren
Entscheidung des Familiengerichts
Bei Konflikten über das Aufenthaltsbestimmungsrecht können sich die Eltern an das Familiengericht wenden. Wie das Familiengericht in Sorge- und Umgangsverfahren zu einer Entscheidung kommt, erfahren Sie hier.
Kindeswohl & Kindeswille
Berücksichtigung von Kindeswohl & Kindeswillen bei Ausübung des Aufenthaltsbestimmungsrechts
Bei der Ausübung des Aufenthaltsbestimmungsrechts sollten Eltern das Wohl und den Willen des Kindes berücksichtigen. Worauf Sie als Eltern dabei achten sollten, erfahren Sie auf der folgenden Unterseite.